Nach: Friedrich Albert Groeteken, Sagen des Sauerlandes,1926 (hg. von Dr. Magdalena Padberg,1989), S.78 – 80. Gekürzt und leicht modifiziert
An der Klippe zu Drolshagen wohnte einst ein liebes Mädchen, das Margarete hieß, von allen aber Gretchen genannt wurde. Jedermann liebte das blondgelockte Gretchen wegen seiner Herzensgüte und Milde. Deshalb grollte ihr die gleichaltrige, unbeliebte Trina, deren schwarze Haare wirr um den Kopf rollten. In ihrem düsteren Herzen nährte sie einen unüberwindlichen Hass wider das stille Gretchen. „Töte es,” schrie es in ihr, ,,Wenn es droben im Berge Reiser sammelt.” Wohl vernahm sie dann eine Stimme: „Wehre Dich, Gott sieht alles!” „Ach was,” sagte sie, ,,ich wollte, ein Wolf zerrisse sie!”
Wie Trina einmal durch den waldigen Berg schritt, bemerkte sie, wie die Büsche sich bewegten und vernahm das Knicken von Zweigen. Plötzlich stand ein kleines, buckeliges Weib am Krückstock vor ihr. Der zahnlose Mund ging auf und zu, der dicke Kopf wackelte nach rechts und links, und die vom Rauche brandigroten Augen rollten hin und her. Das Weib warf das Reisigbündel neben sich, stemmte die knöchernen Hände in die Seiten, schaute Trina neugierig an und sagte: „Was sucht die feine Trina hier im Holze? Fürchtet sie sich denn nicht vor den Hexen?” „Ganz gewiss,” entgegnete Trina verlegen, ,,aber mehr noch fürchte ich mich vor meinem bösen Herzen; deshalb eilte ich hierher.” „Nun, dafür habe ich ein Heilmittel,” sagte die Alte, ,,nimm diese Salbe und bestreiche damit um Mitternacht deine Augen. In einem Traume siehst du dann, was du tun sollst.” Die Alte verschwand und ließ die erschrockene Trina allein zurück. Als die Mitternachtsstunde schlug, trug Trina die Salbe auf. Im selben Augenblick stand sie im dichten Busch zu Steupingen vor einem großen Steine, auf dem eine schwarze Katze saß. „Bist du endlich da?” rief diese; „lange habe ich auf dich gewartet.” Dann kratzte sie dreimal, der Stein hob sich bei Seite, und die beiden kamen in eine weite, unheimlich aussehende Höhle, in der sie von der Hexe und ihren schaurigen Haustieren empfangen wurde. Als das Mädchen nun in eine Ecke sah, wo Dampf aus einem Loch hervorquoll, erblickte es ein Männchen mit einem Spitzhut und einer Feder darauf, das einen roten Wams trug. Darüber musste es sehr lachen; denn das Männchen schnitt ständig Fratzen. „Das ist der Asmodi, ein feiner Herr,” sagte die Alte. „Wenn er gleich einen Pferdefuß hat, so kann er doch in der Walburgisnacht auf dem Blocksberge sehr schön tanzen.” Asmodi lachte und hüpfte weg.
Da flüsterte das höckerige Weib dem Mädchen ins Ohr: „Und soll ich dir helfen?” „O hilf mir!” „Willst du mein sein mit Haut und Haar?” „Ja, mit Haut und Haar!” „Dann gib mir ein Löckchen von deinem schwarzen glänzenden Haar.” Damit schnitt sie der Trina ein Löckchen ab. „Nimm den Besen dort und setz dich rittlings darauf. ” Kaum saß Trina auf dem verwünschten Besen, als sie auch schon zu wackeln begann. „Du musst links aufsteigen,” sagte die Alte, ,,dann glückt es. Doch jetzt gehe heim, es ist Ein Uhr.“
Im einsamen Kammerlein band das Gretchen sich sein korngelbes Seidenhaar zurecht und kniete dann zum Abendgebet nieder. Da hörte das Mädchen mit einemmale einen unheimlichen Lärm, der immer näherkam. Dicke, schwere Hagelkörner schlugen gegen das Fenster, und eine schreckliche Stimme rief: „Voran, Kinder!” Ein dicker Katzenkopf stieß gegen das Fenster, dann noch einer und noch einer. Die schrien wie kleine Kinder, und die Augen funkelten gleich Irrlichtern. Dann gab es einen gewaltigen Stoß, dass die Wände dröhnten und die Scheiben klirrten. Und durch die Scheiben schaute grauerregend die Hexe, auf einem Ziegenbock reitend, herein, ein großes Messer in der Hand. Hinter ihr ritt Trina auf einem Besen, einen Stock in der Hand, das Antlitz von Wut entstellt, das schwarze Haar wirr um den Kopf. Voll Entsetzen schrie Gretchen laut auf: „Lieber Gott, beschütze mich!”, riss das Kreuz von der Wand und warf es in den Höllenlärm. Und siehe da! Urplötzlich verstummte der grausige Lärm. Dann schlug es vom Kirchenturme Ein Uhr. Das arme Gretchen wurde vor Schreck ohnmächtig. Die Trina fand man aber am anderen Morgen tot in ihrem Bett liegen.